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Das Wirtschaftsmagazin

»Es ist bemerkenswert, dass die Deutschen diese Wirtschaftsskandale hinnehmen.«

Die Bloomberg-Journalisten Chris Reiter und Will Wilkes haben ein Buch über Deutschlands Probleme geschrieben. Wieso Wirtschaftspolitik alleine nicht reicht, erklären sie im Interview.

Olaf Scholz als Zeuge bei einem parlamentarischen Ausschuss zum Cum-Ex-Skandal. Credit: IMAGO/Chris Emil Janßen

Chris Reiter und Will Wilkes sind Auslandskorrespondenten des US-amerikanischen Finanzsenders Bloomberg und leben und berichten seit Jahrzehnten aus Deutschland. Mit ihrem Buch Totally Kaputt, das im Piper Verlag erschienen ist, legen sie eine Analyse der aktuellen Krise vor und machen konkrete Lösungsvorschläge. Im Interview mit Surplus erklären sie, wieso es dafür neben wirtschaftspolitischen Maßnahmen ein neues Gemeinschaftsgefühl braucht.

Die deutsche Wirtschaft stagniert auf dem Niveau von 2019. Welche Ursachen hat diese Wachstumsschwäche? 

Will Wilkes: Die Wachstumsschwäche hat eine zyklische und eine strukturelle Komponente. Innerhalb des Wirtschaftszyklus ist die internationale Nachfrage nach deutschen Produkten in dieser Zeit niedrig, besonders aus China, da dort auch die Wirtschaft stagniert. In vielen Industrien sind deutsche Produkte nicht mehr so wettbewerbsfähig wie in der Vergangenheit. Man sieht das besonders in der Automobilindustrie und im Maschinenbau, wo es auf den Wettbewerb mit China ankommt. Um die Strukturprobleme zu verstehen, müssen wir zurück in die Merkeljahre, die ja von vielen als ein goldenes Zeitalter wahrgenommen werden. Ein Fünftel der Menschen waren vom Wachstum dieser Jahre ausgeschlossen. Die Löhne sind gestiegen, aber es gab auch Preiserhöhungen, besonders die Mieten in Großstädten, die von der Inflationsstatistik nicht gut erfasst wurden. Es wurde kaum investiert, gerade in die Digitalisierung und Zukunftstechnologien, es gab zu wenig Gründungen neuer Firmen. 

Chris Reiter: Es fehlen Innovationstreiber in Deutschland, es wurde zu sehr auf die Verbesserung bestehender Produkte wie Autos gesetzt. Die Wettbewerbsfähigkeit von vielen Firmen hat auch durch die Energiekrise gelitten. Die fehlenden Investitionen in Innovation haben die internen Probleme ausgelöst und dazu kommt von der Außenpolitik sehr starker Gegenwind.

Als Finanzjournalisten haben Sie viel über Wirtschaftskriminalität berichtet, zum Beispiel über den Fall »Wirecard«. Was haben Sie während Ihrer Recherchen über die Arbeit der wirtschaftlichen Aufsichts- und Strafverfolgungsbehörden gelernt?

Chris Reiter: Cum-Ex ist ein besonderes Beispiel der schlechten Nachverfolgung von Finanzkriminalität. Die zuständige Staatsanwältin Anna Brorhilker hat nach 11 Jahren Strafverfolgung mit einem Seitenhieb gegenüber der Politik und Finanzverwaltung gekündigt. Sie sagte: »Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen«. Das ist ein schwerer Vorwurf, der auch auf Korruption hinweist. Für das Schwarzfahren kann man hier ins Gefängnis kommen, während millionenschwere Steuerhinterziehung oft ungestraft bleibt.

Will Wilkes: Das schadet der Demokratie und das Vertrauen in die staatlichen Institutionen. Sie haben die Finanzaufsicht erwähnt. Aber was mich immer in Deutschland überrascht hat, ist, wie passiv die normalen Leute auf diese Probleme reagieren, obwohl es viel Geld kostet. Es gab all diese Probleme mit der Deutschen Bank und den Landesbanken wie der HSH Nordbank, die viel Geld der Steuerzahler verbrannt haben, was kaum jemanden interessiert hat. Ich finde es bemerkenswert, dass die Deutschen scheinbar diese ganzen Finanz- und Wirtschaftsskandale hinnehmen.

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