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Das Wirtschaftsmagazin

Statt Blumen braucht es höhere Gehälter und ein Ende des »VWL Boys Club«

Die männliche Dominanz in der Wirtschaftswissenschaft hat Folgen. Sie verschlechtert die Situation von Frauen überall.

Protestierende auf einer Frauentagsdemo in München. Credit: IMAGO / Alexander Pohl

Am 8. März, dem feministischen Kampftag, bekommen viele Frauen in Deutschland traditionell Blumen. Doch was nützt ein bunter Strauß, wenn mehr als jede zweite erwerbstätige Frau in Deutschland langfristig nicht von ihrem Einkommen leben kann? Und wenn der »Boys Club« der VWL-Disziplin die strukturellen Ungleichheiten verewigt?

Es ist kein Geheimnis: Die neoklassische Ökonomie ignoriert weitgehend die Lebensrealitäten weiblich sozialisierter Menschen. Der »Homo Oeconomicus« als rationaler, nutzenmaximierender Akteur entspricht einem unabhängigen Vollzeitbeschäftigten ohne Fürsorgeverpflichtungen. Unbezahlte Arbeit taucht in klassischen Indikatoren wie dem Bruttoinlandsprodukt nicht auf. Laut einer aktuellen Studie leisten Frauen in Deutschland jährlich 72 Milliarden Stunden unbezahlte Fürsorgearbeit – mehr als die gesamte Summe aller Erwerbsarbeitsstunden im Land. Besonders gravierend ist die Ungleichverteilung in der Kinderbetreuung und Angehörigenpflege: Frauen leisten hier mit 28,2 Milliarden Stunden mehr als doppelt so viel Arbeit wie Männer. Würde diese Arbeit vergütet, hätte sie einen geschätzten Wert von 1,2 Billionen Euro – ein Drittel des deutschen BIP von 2021. 

Indem neoklassische Modelle unbezahlte Arbeit externalisieren, unterschlagen sie deren Bedeutung für die Wirtschaft. Sie suggerieren, dass alle Menschen ihre Arbeitskraft »frei« am Markt anbieten können, ignorieren aber, dass Fürsorgearbeit für die Reproduktion der gesamten monetarisierten Wirtschaft verantwortlich ist. Die Folge sind eine Aufwertung von Lohnarbeit und eine systematische Abwertung von Fürsorge- und Reproduktionsarbeit. Das hat weitreichende Folgen: Frauen verdienen weniger, halten weniger Vermögen und sind stärker von Altersarmut bedroht.

Die VWL ist ein »Boys Club«

Die wirtschaftswissenschaftlichen Modelle spiegeln sich auch in der männlichen Dominanz wider, die in dem Fach vorherrscht. Neoklassische Theorien mit egoistisch und kompetitiv handelnden Menschen bringen ein gefährliches Weltbild hervor, nach dem sich viele der mehrheitlich männlichen Studierenden richten. Die VWL gilt als eine der unzugänglichsten und unattraktivsten Wissenschaften für Frauen. Das zeigen auch die Zahlen: Während in Deutschland rund 36 Prozent der VWL-Studierenden Frauen sind, sinkt ihr Anteil mit jeder Karrierestufe. Besonders drastisch ist der Einbruch an der Spitze der akademischen Laufbahn: Nur 15  Prozent der VWL-Professuren in Deutschland sind mit Frauen besetzt​. Deutschland gehört damit zu den europäischen Schlusslichtern. 

Einer der Gründe ist die »Male Nerd Culture« der VWL. Debatten sind oft kompetitiv, konfrontativ und Karrierenetzwerke häufig exklusiv männlich. Außerdem sind sexistische Rollenklischees in der Disziplin gegenüber Kolleginnen weit verbreitet. Frauen erhalten seltener Forschungsgelder, werden seltener für große Projekte ausgewählt und in Berufungsverfahren häufiger übergangen. Ihre Arbeiten werden weniger zitiert – und wenn sie mit Männern forschen, wird der männliche Kollege oft als Hauptautor wahrgenommen.

Diese Mechanismen verstärken sich gegenseitig: Je weniger Frauen in der VWL vertreten sind, desto eher bleiben Ausbeutungsverhältnisse und vermeintlich blinde Flecken in Theorie und Forschung bestehen. Wer daran etwas ändern will, muss harte Kämpfe führen, selbst weibliche Netzwerke bilden und die bestehenden Strukturen mit viel Geduld angreifen – das ist eine schwere und leidvolle Aufgabe.

Spiegelbild der Neoklassik: Strukturelle Ungleichheiten in der Realwirtschaft

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