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Das Wirtschaftsmagazin

Ist Israels neoliberale Sicherheitsdoktrin am Ende?

Die neoliberale Sicherheitsdoktrin prägte Israel ökonomisch, institutionell und militärisch. Jetzt will Israels messianischer Rechte sie neu verhandeln, meint Arie Krampf.

Tech-Worker protestieren im Januar 2023 in Tel Aviv gegen die Justizreform. Foto: Tomer Neuberg

Nach dem 7. Oktober 2023 hat sich Israel in den ersten Mehrfrontenkrieg seit dem Jom-Kippur-Krieg (1973) begeben. Dieser leitete vor fünfzig Jahren eine Ära des militärischen Keynesianismus ein. Israel baute seine Rüstungsindustrie erfolgreich auf und schuf eine technische Infrastruktur. Die umfassende finanzielle, politische und wirtschaftliche Unterstützung der USA festigte seinen Status als regionale Militärmacht. Die niedrigen Wachstumsraten, hohen Haushaltsdefizite und steigende Inflation gipfelten jedoch in der Wirtschaftskrise der 1980er-Jahre. Was folgt nun aus dem aktuellen Krieg? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir einen Blick in die Geschichte werfen.

Bis zur Wahl der sechsten Regierung Netanjahu im Dezember 2022 hatte die israelische militaristische Elite über zwei Jahrzehnte eine effektive politische und ökonomische Doktrin entwickelt, mit der Israel drei Hauptziele erreichte: ein im internationalen Maßstab beachtliches Wirtschaftswachstum, die Förderung und Vertiefung seiner expansionistischen Politik und die Senkung der wirtschaftlichen und diplomatischen Kosten für die Missachtung internationaler Normen und Gesetze. Diese neoliberale Sicherheitsdoktrin führte zu erheblichen ökonomischen Gewinnen und stärkte zugleich rechte Regierungen, die sich dem Druck liberaler internationaler Akteure, insbesondere der USA und europäischer Staaten, besser widersetzen konnten. Die neoliberale Sicherheitsdoktrin schien allen strategischen Zielen der militaristischen Elite zu dienen.

Netanjahus sechste Regierung traf jedoch zwei wichtige Entscheidungen, wodurch die Doktrin wahrscheinlich aufgegeben wurde. Einerseits wollte sie mit der Justizreform die liberalen »Gatekeeper« schwächen und damit auch die institutionelle Grundlage der Doktrin. Andererseits priorisierte sie die Eskalation und Internationalisierung des Gazakriegs gegenüber einer Freilassung der Geiseln. Warum also hat sich die militaristische Elite entschieden, eine Doktrin zu verwerfen, von der sie zwei Jahrzehnte lang profitiert hatte?

In diesem Beitrag werde ich darlegen, dass diese Entscheidungen einen Widerspruch in der neoliberalen Sicherheitsdoktrin selbst offenbaren – zwischen dem Messianismus der rechten Elite und der pragmatischen ökonomischen Notwendigkeit, expansionistische Ziele durch eine hyperneoliberale Wirtschaftsstrategie zu finanzieren. Das Erstarken der messianischen Kräfte in der militaristischen Elite besiegelte das Ende der neoliberalen Sicherheitsdoktrin.

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