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Das Wirtschaftsmagazin

Keynes’ Ökonomie von Überfluss und Freiheit

Für John Maynard Keynes sollte wirtschaftliches Wachstum das moralische und politische Leben verändern. Seine Ökonomik war so widersprüchlich wie produktiv.

6 Minuten Lesedauer
Collage: Zane Zlemeša

John Maynard Keynes (1883–1946) war ein Mensch der produktiven Widersprüche: ein Finanzinvestor, der das Streben nach Reichtum verachtete, ein Theoretiker der Freizeit, der sich zu Tode arbeitete, und ein Ökonom, der sich ein Ende seiner eigenen Disziplin erhoffte. Für Keynes war die Ökonomie weder eine Disziplin noch eine Methode. Stattdessen verkörperte sie für ihn eine Denkart, a way of thinking.

Wie Keynes in einem Briefwechsel mit seinem Studenten und späteren Biografen Roy Harrod im Juli 1938 erklärte, sei die Ökonomie ein Teilbereich der Logik. Keynes distanzierte sich damit von zeitgenössischen Versuchen, die Ökonomie – damals wie heute – als eine »Pseudo-Naturwissenschaft« zu präsentieren. Genau wie die Logik selbst ist die Ökonomie für Keynes eben keine Naturwissenschaft, sondern eine Moral Science im Sinne des 18. Jahrhunderts. Sie beschäftigt sich mit Introspektion und Werturteilen, Motiven und Erwartungen, und vor allem auch mit psychologischen Ungewissheiten. 

Wie Keynes betonte, ist die Ökonomie eine seltsame und enorm anspruchsvolle Wissenschaft, gerade weil sie nicht nur das logische Denken innerhalb von Modellen erfordert, sondern auch eine psychologische Beobachtungsgabe und vor allem Urteilskraft über die richtige Wahl zwischen verschiedenen Modellen. »Der Fortschritt in der Ökonomie«, erklärte Keynes, besteht nicht in der besseren Anwendung derselben Axiome und Maximen, sondern »fast ausschließlich in einer schrittweisen Verbesserung der Wahl der Modelle.« 

Wirtschaftswissenschaft braucht mehr als ein gutes Modell 

Modelle der Welt sind unabdingbar, da das Forschungsmaterial der Ökonomie in »zu vielen Aspekten zeitlich nicht homogen ist«. Komplexe Motive, instabile Erwartungen und psychologische Ungewissheiten durchkreuzen die vermeintliche Berechenbarkeit. Keynes scherzte, es sei so, als ob der Fall von Newtons Apfel nicht von der Schwerkraft, sondern von den Motiven des Apfels abhinge, von seinen Erwartungen und Abwägungen, wann es sich am meisten lohnt, zu Boden zu fallen. 

Ziel eines guten Modells ist es also, die relativ konstanten Faktoren von den sich verändernden Faktoren zu trennen, um so sowohl die logischen Beziehungen wie auch die zeitlichen Abläufe zu verstehen. Das verlangt eine ausgewogene Balance zwischen Abstraktion und Realismus. Ein Modell, das zu viele variable Funktionen durch reelle Werte ersetzt oder das wie die bekannte Landkarte in Jorge Luis Borges’ Kurzgeschichte Von der Strenge der Wissenschaft so groß wie die Welt selbst ist, zahlt für den vermeintlichen Gewinn an Realismus mit Nutzlosigkeit.

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Stefan Eich

Stefan Eich ist Professor für Regierungslehre an der Georgetown University in Washington, D.C.