Privatunternehmen wälzen seit dem Beginn des Kapitalismus fortwährend ihre Produktion um. Eine der zentralen technischen Innovationen der letzten Jahrzehnte war dabei die Digitalisierung. Die permanente Steigerung der Rechenleistung einerseits und die enorme Datenmenge im Internet andererseits ermöglichten dabei den Aufstieg der künstlichen Intelligenz, von der sich das Kapital eine enorme Produktivitätssteigerung verspricht. Das erneuert die grundsätzliche Frage, inwiefern der Einsatz neuer Technologien Arbeit überflüssig werden lässt und die Arbeitsbedingungen prägen. Maurice Höfgen schrieb dazu im ersten Heft von Surplus, dass KI und Roboter uns nicht die Jobs klauen werden. Er argumentiert in seinem Artikel, dass zwar bei einzelnen Unternehmen Jobs wegrationalisiert werden, aber makroökonomisch in den letzten Jahrzehnten keine höhere Arbeitslosigkeit zu verzeichnen sei. Diese sei überhaupt nur zu befürchten, wenn die Unternehmen sich nicht an die »goldene Lohnregel« halten. Die besteht darin, die Löhne der Beschäftigten der Produktivkraftsteigerung anzupassen und so die Binnennachfrage zu steigern, ergo die Produktion ankurbeln. Daraus entsteht, so Höfgen, ein »›Win-win‹ für die Volkswirtschaften: Gewinne und Löhne steigen«. Das ist ein sehr harmonisches Bild dieser Ökonomie. Es stimmt nur nicht.
Erstens leistet sich Höfgen gleich zu Beginn einen Widerspruch, wenn er schreibt, dass die Technik »uns alle« reicher machen würde. Er selbst argumentiert ja dafür, dass eine Umverteilung notwendig ist, also eine Verteilung der Produktivitätszuwächse hin zu den Unternehmen längst vorliegt. Der in der ersten Person Plural unterstellte gemeinsame Nutzen wird von ihm gleichzeitig dementiert, indem Höfgen ihn erst noch realisieren will. Damit vermischt er in seinem Artikel immer wieder die behauptete »Win-win-Situation für die Volkswirtschaft«, die er sich von der großen Umverteilung in Form der »goldenen Lohnregel« erhofft, und seiner Schilderung des Status Quo einer deutschen Volkswirtschaft 2025. Denn solange die von ihm und anderen (linken) Ökonomen behauptete »goldene Regel« besonders dadurch besticht, dass sie in deren Köpfen, aber nicht in der Rechnungsweise deutscher Unternehmen existiert, ist die erste Person Plural als Personalpronomen für den Reichtum im digitalisierten Kapitalismus ziemlich unangebracht.
Anders gesagt: »Uns« macht die Technik überhaupt nicht reicher, sondern diejenigen, welche die Technik für sich und ihre Zwecke einsetzen. Für Höfgen stellt es sich anders dar, nämlich nicht als praktische Folge der Freiheit der Eigentümer, sich die Früchte der immer produktiver werdenden Arbeit einfach anzueignen. Für ihn ist das Ausbleiben einer harmonischen Gesellschaft, in der alle profitieren, vielmehr die Folge »falscher, zu bescheidener Lohnpolitik«. Das führt zum zweiten Argument gegen Höfgens Vorstellung einer Win-win-Gesellschaft. Muss zuerst der Lohnkampf der Gewerkschaft erfolgreich gegen das Kapital geführt werden, damit er seine vermeintlich segensreiche Wirkung auf genau die Ökonomie haben kann, welche die Beschäftigten von dem Reichtum ausschließt, dann ist der Widerspruch unterstellt, den Höfgen mit seiner »Win-win-Situation« leugnet.
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