Wir leben in Zeiten, in denen es schwer ist, gesund zu bleiben. Jeder Vierte fühlt sich am Arbeitsplatz psychischen Belastungen ausgesetzt, jeder Dritte arbeitet mehr als vierzig Stunden, 29 Prozent müssen regelmäßig schwer heben und sind harter körperlicher Arbeit ausgesetzt. Die Folgen sind klar: Die moderne Arbeitswelt produziert nicht nur Waren, sondern auch Krankheiten.
Die Krankmeldungen in Deutschland sind den Krankenkassen zufolge auf einem neuen Höchststand, das ist alarmierend – genauso wie die öffentliche Diskussion darüber. Denn anstatt über bessere Arbeitsbedingungen und Gesundheitsvorsorge zu sprechen, wollen arbeitgebernahe Vertreter aus Wirtschaft und Politik nun lieber durch Lohnausfälle Anreize schaffen, damit Menschen sich weniger krankmelden. Das ist ein Skandal – und Ausdruck eines sich verschärfenden Klassenkonflikts.
Der Vorstoß ging von Allianz-Chef Oliver Bäte aus, der gegenüber dem Handelsblatt einen sogenannten Karenztag gefordert hat. Der würde bedeuten, dass die Arbeitenden die Kosten für den ersten Krankheitstag selbst tragen müssten: Wer krank wäre, müsste auf Lohn verzichten. Bäte begründet den Sinn des Karenztages mit möglichen Einsparungen von 40 Milliarden Euro, »die dem Gesundheitssystem an anderer Stelle helfen könnten.« Auch die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer und der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU, Sepp Müller, stimmten dem Vorschlag zu.
Noch einen drauf setzt der Wirtschaftswissenschaftler Bernd Raffelhüschen, der gegenüber Bild sogar drei Karenztage sowie eine finanzielle Beteiligung an Behandlungskosten von 500 bis 1000 Euro pro Jahr fordert. Arbeitende sollten Raffelhüschen zufolge am besten auch 20 Prozent aller Medikamente pro Jahr selbst zahlen. Dass eine derartige Mehrbelastung für viele Beschäftigte nicht zu stemmen wäre, ohne noch tiefer in die Armut zu fallen, ist selbsterklärend: Ein Karenztag träfe vor allem Geringverdiener hart, da die sich im Falle der Krankheit genau überlegen müssten, ob sie sich den Lohnausfall leisten könnten.
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