Nach zähen Verhandlungen über letzte Streitpunkte haben sich Israel und Hamas auf ein Abkommen zu einer Waffenruhe geeinigt. Inwiefern sie eingehalten wird oder sogar zu einem nachhaltigen Ende der Gewalt führt, steht auf einem anderen Blatt. Die politische Lage bleibt dafür schlicht zu instabil.
Wichtig für eine Stabilisierung der Lage in der Region wäre, die Logik der Gewalt zu durchbrechen. Und das wird nicht leicht, denn einerseits besteht der tonangebende, rechte Flügel der rechtsextremen Regierung Netanjahu um Sicherheitsminister Ben-Gvir und Finanzminister Smotrich darauf, »bis zum vollständigen Sieg« (»until complete victory«) die Kriegshandlung wieder aufzunehmen. Andererseits weiß auch Ministerpräsident Netanjahu, dass der »totale Sieg« (»total victory«), den er versprach, trotz der flächendeckenden Zerstörung Gazas in weiter Ferne ist.
Abgesehen von dem endlosen Leid auf palästinensischer wie israelischer Seite ist das »realpolitische« Resultat der militärischen Antwort Israels auf den 7. Oktober vernichtend: Das Ziel, die Geiseln zu befreien, wurde nicht vollständig erreicht. Die Hamas hat nahezu alle personellen Verluste durch Neueintritte kompensiert. Israel ist in der Welt so isoliert wie noch nie, wie die Abstimmungen in der Generalversammlung und im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zeigen. Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) hat gegen Netanjahu und den ehemaligen Verteidigungsminister Joaw Galant Haftbefehl wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit erlassen. Israel muss sich zudem vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) wegen eines möglichen Genozids verantworten. Der scheidende Außenminister der USA, Antony Blinken, bekräftigte bis zuletzt, was eigentlich alle wissen, die sich auch nur ein wenig mehr im Detail mit dem Nahostkonflikt befassen, nämlich, dass die Hamas nicht mit militärischen Mitteln allein besiegt werden kann. Es brauche eine (realistische) politische Strategie, die bei der Regierung Netanjahu nicht vorhanden ist.
Eine politische Lösung braucht eine ökonomische Komponente
Für eine politische und damit nachhaltige Stabilisierung der Region wird auch die wirtschaftliche Unterstützung eine wichtige Rolle spielen. Das betrifft einerseits die Lage in Gaza, die katastrophal ist. Aktuelle Schätzungen der UNCTAD ergeben, dass es mit den Wachstumsraten aus der Vorkriegszeit 350 Jahre dauern würde, bis das Pro-Kopf-Einkommen wieder das Vorkriegsniveau erreicht. Dabei war die wirtschaftliche Situation bereits vor dem Konflikt verheerend: Zwischen 1994 und 2022 halbierte sich das reale Pro-Kopf-Einkommen im Gazastreifen von 2.328 US-Dollar auf 1.257 US-Dollar, ein Niveau, das bereits unter dem Durchschnitt subsaharischer Länder lag. Zwei Drittel der Bevölkerung lebten in Armut, 80 Prozent waren auf Hilfslieferungen angewiesen, und die Arbeitslosigkeit erreichte mit 45 Prozent eine der höchsten Raten weltweit.
Mit dem Krieg hat sich diese prekäre Lage dramatisch verschärft. Schätzungen zufolge ist das BIP in Gaza Anfang 2024 um 86 Prozent eingebrochen, der Dienstleistungssektor um 76 Prozent, während Bauwirtschaft und Landwirtschaft nahezu vollständig zusammengebrochen sind. Das Pro-Kopf-Einkommen könnte bis Ende des Jahres auf nur noch 225 US-Dollar pro Jahr fallen, und die Arbeitslosenquote stieg auf schwindelerregende 82 Prozent. Fast 96 Prozent der Bevölkerung leiden unter akuter Ernährungsunsicherheit, wobei 22 Prozent – etwa eine halbe Million Menschen – bereits die schwerste Stufe der Ernährungsunsicherheit erreicht haben.
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