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Das Wirtschaftsmagazin

Papst Franziskus war der Anwalt der Armen

Papst Franziskus kritisierte die globale Wirtschaftsordnung und solidarisierte sich mit den Entrechteten. Er wird fehlen.

4 Minuten Lesedauer
Auf der ganzen Welt trauern Katholiken um Papst Franziskus. Ein Porträt in einer Kirche in Sydney. Credit: IMAGO / AAP

Mit dem Tod von Papst Franziskus verliert die Welt eine der wichtigsten moralischen Stimmen unserer Zeit – und die globale Wirtschaftsordnung einen ihrer beharrlichsten Kritiker. Kein Papst vor ihm hat den Kapitalismus der Gegenwart so scharf kritisiert und zugleich so authentisch und eindringlich auf den Beitrag verwiesen, den die christliche Lehre zu den sozialen und wirtschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit leisten kann.

Papst Franziskus stammte, wie er selbst scherzhaft bemerkte, »vom anderen Ende der Welt« – aus Argentinien. Dort wirkte Jorge Bergoglio jahrzehntelang als Seelsorger und hatte nicht nur mit der Heilung seelischen Leids zu tun. Er erlebte in seiner Heimat ganz konkret die Auswüchse eines entfesselten Finanzmarktkapitalismus und die verheerenden Folgen für die Gesellschaft. 2013 wurde er als 266. Papst gewählt, der erste aus dem globalen Süden. Diese Perspektive sollte sein gesamtes Pontifikat prägen.

Kritik am neoliberalen Kapitalismus vom ersten Tag

Als Papst vertrat er von Anfang an eine fundamentale Kritik an der globalen Wirtschafts- und Finanzordnung. In seinem ersten programmatischen Schreiben Evangelii Gaudium (2013) plädierte Franziskus für eine Kirche, die offen ist für die Nöte der Menschen – und das inmitten einer »Krise des gemeinschaftlichen Engagements«. Eine zentrale Ursache dieser Krise sah er im rücksichtslosen Wirtschaften der Gegenwart: »Diese Wirtschaft tötet« – ein Satz, der weltweit Schlagzeilen machte.

Franziskus sah in einem System, das den Profit über den Wert des menschlichen Lebens stellt, eine Verletzung des Gebotes »Du sollst nicht töten«. Er unterstrich dies mit einer prägnanten Beobachtung: »Es ist unglaublich, dass es kein Aufsehen erregt, wenn ein alter Mann, der gezwungen ist, auf der Straße zu leben, erfriert, während eine Baisse um zwei Punkte an der Börse Schlagzeilen macht. Das ist Ausschließung.« Gegen diese Ausschließung gelte es entschieden »Nein!« zu sagen.

Franziskus war kein Ökonom, doch seine Systemkritik entfaltete gerade deshalb besondere Wirksamkeit, weil sie aus einem tiefen Verständnis für die strukturellen Ungerechtigkeiten unserer Zeit hervorging und fest in der Tradition der katholischen Soziallehre stand. In seinen Enzykliken Laudato si’ (2015) und Fratelli tutti (2020) verband er soziale, ökologische und ökonomische Fragen zu einer umfassenden Gesellschaftskritik.

Er dachte stets in Zusammenhängen: Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft betrachtete er nicht als voneinander getrennte Bereiche, sondern als untrennbar miteinander verwoben. Den rücksichtslosen Umgang der Menschen untereinander – geprägt von einer »Hyperinflation des Individualismus« – sah er als Spiegelbild des Umgangs mit der Schöpfung. Gleich zu Beginn von Laudato si’, dem wohl bedeutendsten Nachhaltigkeitsdokument der Kirchengeschichte, schreibt Franziskus: »Die Gewalt des von der Sünde verletzten menschlichen Herzens wird auch in den Krankheitssymptomen deutlich, die wir im Boden, im Wasser, in der Luft und in den Lebewesen bemerken. Darum befindet sich unter den am meisten verwahrlosten und misshandelten Armen diese unsere unterdrückte und verwüstete Erde.«

Zu den Armen und Ausgegrenzten, denen sich Franziskus in der Tradition seines Namenspatrons Franz von Assisi besonders verpflichtet fühlte, zählte er auch die Schöpfung. Der weiteren Zerstörung müsse mit einer »neuen universalen Solidarität« und einem Ende der »Globalisierung der Gleichgültigkeit« begegnet werden.

Dauerkrisen an der Tagesordnung

Seit Laudato si’ hat sich die globale Lage weiter zugespitzt: Brexit, Trump, Handelskonflikte, die Coronapandemie und neue Kriege haben das Vertrauen in internationale Zusammenarbeit und wirtschaftliche Ordnung erschüttert. Auf dem Höhepunkt der Pandemie, im März 2020, sprach Franziskus auf einem menschenleeren Petersplatz: »Wir haben uns von Kriegen und weltweiter Ungerechtigkeit nicht aufrütteln lassen, wir haben nicht auf den Schrei der Armen und unseres schwer kranken Planeten gehört. Wir haben unerschrocken weitergemacht in der Meinung, dass wir in einer kranken Welt immer gesund bleiben würden.«

Es überraschte nicht, dass in seiner dritten großen Enzyklika, die 2020 erschien, die mangelnde Solidarität und der zunehmende Sozialdarwinismus im Zentrum seiner Kritik standen. Er beklagte »verbohrte, übertriebene, wütende und aggressive Nationalismen« ebenso wie »neue Formen des Egoismus und des Verlusts des Sozialempfindens«. Wer heute von »Offenheit zur Welt« spreche, meine häufig nur noch »die Freiheit der Wirtschaftsmächte, ohne Hindernisse und Schwierigkeiten in allen Ländern zu investieren« – nicht aber menschliche Begegnung oder globale Verantwortung. Diese Art von Globalisierung, so Franziskus, »eint die Welt, trennt aber die Menschen und Nationen«. 

Widerstand und Wirksamkeit

Die Reaktionen fielen nicht nur innerhalb der Kirche, sondern auch in der Öffentlichkeit teils heftig aus. Rainer Hank von der FAZ überlegte öffentlich, ob Franziskus’ Enzyklika Fratelli tutti nicht Grund genug für einen Kirchenaustritt sei. Clemens Fuest, Chef des ifo-Instituts, warf dem Papst vor, »gegen Märkte und angeblichen Neoliberalismus« zu wettern, und nannte seine Aussagen »gefährlich«, da sie Menschen »verleiten« könnten, autoritäre Regime zu unterstützen.

Solche Vorwürfe begleiteten Franziskus regelmäßig – von »Kommunist« über »Sozialist« bis hin zum »Befreiungstheologen«. Doch wer seine Texte genau las, erkannte: Franziskus war kein ideologischer Gegner der Marktwirtschaft. Er stellte vielmehr eine Ethik gegen eine Ökonomie, die sich ihrer Verantwortung entzieht und zugunsten der Reichsten gestaltet ist. Anders als für die meisten Ökonomen in westlichen Ländern war die Wirtschafts- und Finanzordnung für Franziskus kein natürliches, gottgegebenes Konstrukt, sondern ein von den Menschen geschaffenes System, dessen Regeln sich zugunsten der Mehrheit und des Planeten verändern lassen. Für viele im globalen Süden, die von Finanzmarktspekulation, Landnahme oder ausbeuterischer Ressourcen- und Lieferkettenpolitik globaler Konzerne betroffen sind, war Franziskus ein Fürsprecher – jemand, der die Realität ihrer Lebensumstände kannte und sie nicht nur moralisch, sondern auch strukturell infrage stellte.

Eine starke Stimme für eine menschliche Wirtschaft

Die zentrale Botschaft des Papstes lautete: Die Wirtschaft muss dem Menschen dienen – nicht umgekehrt. In dieser Haltung stand Franziskus in der langen Tradition der katholischen Soziallehre. Doch er war der erste Papst, der diese Lehre mit solcher Vehemenz und öffentlicher Präsenz in die weltwirtschaftliche Debatte eingebracht hat.

Franziskus wusste zugleich: Es braucht mehr als Appelle. Er forderte konkrete strukturelle Veränderungen – eine Neuausrichtung internationaler Institutionen, eine gerechtere Ressourcenverteilung, den Abbau schädlicher Subventionen, das Ende fossiler Abhängigkeit, ein Schuldenmoratorium für den globalen Süden und neue Formen der globalen Kooperation. Noch kurz vor seinem Tod kam aus dem Vatikan die (wiederholte) Forderung nach einem Schuldenerlass für die Staaten des globalen Südens – eine Forderung, die Franziskus über Jahre hinweg konsequent aufrechterhielt.

Gerade in Zeiten des globalen Rechtsrucks war die Stimme des Papstes deshalb ein wichtiger Anker der Vernunft und Gerechtigkeit. Diese Stimme wird nun fehlen. Doch Kirche und Gesellschaft können in tiefer Dankbarkeit auf das Vermächtnis zurückblicken, das dieser Papst hinterlässt.

Für die Zukunft bleibt die Hoffnung, dass der Wandel, der mit Franziskus kam, andauert. Lasst uns hoffen, dass die Kirche weiter auf die Armen schaut, dass sie Ungleichheit und Umweltzerstörung nicht hinnimmt – und dass sie nie aufhört, die Stimme für die Würde eines jeden Menschen zu erheben.

Patrick Kaczmarczyk

Dr. Patrick Kaczmarczyk ist Ökonom an der Universität Mannheim und Redakteur bei Surplus. Zuletzt war er Leiter für volkswirtschaftliche Grundsatzfragen beim Wirtschaftsforum der SPD und UNO-Berater.