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Das Wirtschaftsmagazin

Pistor: Endlich ist das Schulden-Tabu gebrochen

Das Ende der Sparpolitik ist der erste Schritt. Jetzt braucht es die monetäre Staatsfinanzierung der EZB, meint Katharina Pistor.

Friedrich Merz bei seiner Rede im Bundestag zu Änderung des Grundgesetzes. IMAGO / Jens Schicke

Deutschland hat gerade eine weitere Zeitenwende angekündigt, also eine Abkehr von lange bestehenden Überzeugungen zugunsten neuer, vielversprechender Strategien. Diesen Begriff verwendete Bundeskanzler Olaf Scholz, als er am 27. Februar 2022, wenige Tage nach der vollständigen Invasion der Ukraine durch Russland, die Situation beschrieb. Er versprach die Mobilisierung von Ressourcen, um die ukrainische Bevölkerung und die demokratischen Werte, für die sie kämpften, zu unterstützen. Doch so bedeutsam diese Ankündigung auch war, sie ging nicht mit einer Neuausrichtung des deutschen Finanzsystems und einer Abkehr von der geldpolitischen Orthodoxie einher.

Behindert durch die Schuldenbremse, die die jährliche Kreditaufnahme auf 0,35 Prozent des BIP beschränkt und erst 2009 in die deutsche Verfassung aufgenommen wurde, kam das Land nur mühsam voran. Während der Ukraine schwer zugesetzt wurde, die deutsche Infrastruktur zerbröselte und die früheren Klimaschutzverpflichtungen auf der Strecke blieben, rühmte sich das Land seiner fiskalpolitischen Vorsicht. Viele Beobachter erkannten zwar, dass die selbstgewählte neoliberale Zwangsjacke zu einem der größten Probleme Deutschlands geworden war, doch die Bemühungen, sich davon zu befreien, wurden blockiert, unter anderem von der Christlich Demokratischen Union (CDU), die maßgeblich an der Einführung der Schuldenbremse beteiligt war.

Der Sinneswandel der Union

Glücklicherweise hat die CDU endlich einen Sinneswandel vollzogen. Der Anstoß dazu kam aber nicht etwa durch den Wahlsieg der Partei im vergangenen Monat, sondern durch Donald Trumps Kehrtwende in der US-Außenpolitik. Als ob die offene Verachtung Europas durch US-Vizepräsident J.D. Vance auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar nicht schon schlimm genug gewesen wäre, pöbelten er und sein Chef später auch noch den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj im Oval Office an, bevor sie ihm unhöflich die Tür wiesen.

Dieses bestürzende Schauspiel veranlasste den CDU-Vorsitzenden und Bundeskanzler in spe, Friedrich Merz, zu der Forderung, Europa müsse seine Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten beenden. Er spricht sich klar für die Schaffung eines neuen europäischen Sicherheitsnetzes und die Abkehr vom bisherigen deutschen Fiskalregime aus. Am 4. März kündigte die CDU zusammen mit ihrem Junior-Koalitionspartner, den Sozialdemokraten, eine Lockerung der Schuldenbremse an. Deutschland wird hunderte Milliarden Euro aufbringen, um in sein vernachlässigtes Militär und seine Infrastruktur zu investieren.

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