Die eskalierende Klimakrise lässt sich nur eindämmen, wenn wir das Ziel »Netto-Null« erreichen. Dafür braucht es eine drastische Reduzierung der Treibhausgasemissionen in den kommenden Jahrzehnten. Kohle, Gas und Öl müssen durch saubere Energiequellen ersetzt werden. In der Klimapolitik wird das häufig als »grüne Wende« oder »grüner Übergang« bezeichnet. Dieser »Übergang« wird dabei als der aktuellste in einer Reihe von Übergängen in der jüngeren Geschichte gezeichnet. Der erste war der Wechsel von der sogenannten organischen Energie – Muskel-, Wind- und Wasserkraft – zur Kohle. Der zweite war der Übergang von Kohle zu Kohlenwasserstoffen (also Öl und Gas). Der dritte Übergang wird nun sein, dass fossile Brennstoffe durch erneuerbare Energie ersetzt werden.
Das Narrativ vom »Übergang« ist beruhigend, weil es suggeriert, dass wir so etwas ja schon mal gemacht haben: Unseren heutigen Wohlstand verdanken wir einer Reihe industrieller Revolutionen seit dem 18. Jahrhundert – von der Dampfmaschine über die Elektrizität und den Fordismus bis zur Informationstechnologie. Unser künftiger Wohlstand wird von einer grünen industriellen Revolution abhängen – und den vielen ermutigenden Schlagzeilen nach zu urteilen, ist sie bereits in vollem Gange. Laut Standard-Schätzungen dauert eine Energiewende etwa ein halbes Jahrhundert. Wenn das auf die grüne Energiewende zutrifft, wäre 2050 als »Wendejahr« nach wie vor realistisch.
Märchen
Genau so denken viele Regierungsmitglieder und Fachleute über die zukünftige Energieversorgung. Der Weltklimarat (Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC) lässt sich von Spezialisten aus dem Feld der »Übergangstheorie« beraten. Fachleute, die S-Kurven in der Technologieübernahme anpreisen, vergleichen die Verbreitung von Elektrofahrzeugen mit früheren Phasen des technologischen Wandels. Leute wie Elon Musk gelten als die Edisons unserer Zeit.
Aber Geschichte ist eine komplizierte Angelegenheit. Das Narrativ von den »drei Energiewenden« ist nicht nur eine Vereinfachung einer komplexen Realität; es ist eine Geschichte, die quasi automatisch auf ein Happy End zusteuert. Das wirft Fragen auf: Was, wenn es sich dabei nicht um eine realistische Darstellung der Wirtschafts- oder Technologiegeschichte handelt? Was, wenn es vielmehr ein Märchen ist oder eine PR-Aktion oder, schlimmer noch, eine Fata Morgana, eine ideologische Falle, eine gefährlich verführerische Illusion?