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»Wir haben eine totale Spaltung zwischen den Gehältern«

Der öffentliche Dienst steckt derzeit in schwierigen Tarifverhandlungen. Die Verhandlungsführerin, Christine Behle, erklärt, worauf es jetzt ankommt.

Warnstreik der Busfahrerinnen und Busfahrer. IMAGO / penofoto

Der öffentliche Dienst befindet sich mitten in schwierigen Tarifverhandlungen: Die Löhne sind zu niedrig, die staatlichen Finanzen knapp und die Politiker mitten im Bundestagswahlkampf. Die nächsten Verhandlungen finden am 17. und 18. Februar statt. Christine Behle, stellvertretende Verdi-Vorsitzende und Verhandlungsführerin, erklärt im Interview mit Surplus die Hintergründe des Tarifkonflikts.

Frau Behle, wie viele Beschäftigte in welchen Bereichen betreffen die aktuellen Tarifverhandlungen des öffentlichen Dienstes?

Wir verhandeln jetzt für die Beschäftigten des Bundes und der Kommunen. Das sind ungefähr 2,5 Millionen Beschäftigte. Dazu kommen noch ungefähr 200.000 Beschäftigte bei der Bundesagentur für Arbeit, der Deutschen Rentenversicherung und der Unfallversicherung.

Was sind Ihre Hauptforderungen?

Wir fordern eine Tariferhöhung von 8 Prozent im Volumen mit einem Mindestbetrag von 350 Euro monatlich sowie Zuschläge für besonders belastende Tätigkeiten. Zusätzlich wollen wir mehr Zeitsouveränität und Flexibilität durch ein »Meine-Zeit-Konto«, über das die Beschäftigten selbst verfügen sollen. Wir fordern außerdem drei zusätzliche freie Tage sowie einen zusätzlichen Tag für Gewerkschaftsmitglieder. 

Wie reagiert die Arbeitgeberseite auf diese Forderungen?

In der ersten Verhandlungsrunde hat die Arbeitgeberseite noch mal deutlich gemacht, dass sie sich das wirtschaftlich nicht leisten können und auch nicht wollen. Sie sind skeptisch bei der Frage der Arbeitszeit. Sie sagen, dass sie sich insbesondere wegen der hohen Lücken im Personalstamm dort nichts vorstellen können. Sie stehen aber auch unserer Forderung ablehnend gegenüber, dass die Verfügungsgewalt über die Arbeitszeit weitgehend wieder zurück an die Beschäftigten gehen soll. Bisher entscheiden die Arbeitgeber im öffentlichen Dienst über die Rahmenbedingungen für die Arbeitszeit.

Die Verhandlungsführerin auf der Arbeitgeberseite, Nancy Faeser, die Innenministerin der SPD, sagte Anfang des Jahres, »Der Staat muss in Krisenzeiten Orientierung bieten«. Zeigt sich das in den Tarifverhandlungen?

Nancy Faeser hat ja zwei Dinge klargemacht. Zum einen hat sie in ihrem Pressestatement zu Beginn der Verhandlungen deutlich gesagt, wie wichtig die Beschäftigten sind. Das haben wir natürlich wohlwollend zur Kenntnis genommen. Wir haben gerade die letzten Jahre ganz deutlich gesehen, dass der öffentliche Dienst nur deshalb so gut funktioniert, weil sich die Beschäftigten auch in Krisenzeiten stark für ihre Arbeit einsetzen. Zum anderen sagt sie, dass die öffentlichen Mittel knapp sind, insbesondere wegen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts von 2023. Da sieht Nancy Faeser Restriktionen, die wir natürlich auch sehen. Wir sind nur der Auffassung, dass ins Personal investiert werden muss, sonst ist die Handlungsfähigkeit gefährdet.

Der öffentliche Sektor leidet auch unter Personalmangel. Sind da höhere Löhne eine Lösung?

Ja, aber nicht die einzige. Wir haben im Prinzip zwei große Probleme. Im öffentlichen Dienst haben wir eine Lücke von derzeit rund 570.000 Beschäftigten bei Bund, Ländern und Gemeinden. Insbesondere bei den bürgernahen Diensten, wie zum Beispiel Ausländerbehörden oder Bürgerämtern, haben wir richtig große Personalmängel. Und wenn man Menschen gewinnen will für den öffentlichen Dienst, dann hat  über viele Jahre das Thema Sicherheit eine sehr große Rolle gespielt. Das ist aber in Zeiten, wo Arbeitskräfte überall fehlen, nicht mehr das schlagende Argument. Beschäftigte fragen eher: Was verdiene ich denn? Sie schauen aber auch darauf, wie die Arbeitsbedingungen sind. Und da ist ganz klar, gerade bei Arbeitszeitfragen, hängt der öffentliche Dienst gegenüber anderen Branchen, die weitgehend 35-Stunden-Wochen haben, weit zurück. Wir haben eine 39-Stunden-Woche, bei den Beamtinnen und Beamten bis zu 41 Stunden, und wir haben deutlich niedrigere Löhne und durch die Personalsituation die zusätzliche Problematik, dass die Belastung extrem hoch ist. An all diesen Themen muss gearbeitet werden, wenn die öffentliche Hand weiter ihre Arbeit erledigen will.

Wir haben auch die Problematik, dass die Preise des alltäglichen Lebens, wie Lebensmittel, Energie und andere, seit der vergangenen Inflation immer noch hoch sind. Hatten Sie als Gewerkschaft Verdi spezifische Forderungen zur Preisstabilisierung?

Wir haben zum Beispiel Forderungen zum bezahlbaren Strompreis gestellt. Wir wollten, dass nicht nur Unternehmen in den Fokus genommen werden, sondern ganz normale Menschen in diesem Land davon profitieren. Ein weiteres Thema ist die notwendige Mietregulierung, einer der größten Kostentreiber, die wir hier in Deutschland haben. Ich wohne selber in Berlin und hier können sich ganz viele normale Menschen mit ihren Gehältern das Wohnen schlichtweg nicht mehr leisten, weil Wohnen zum Spekulationsobjekt verkommen ist. Und deswegen braucht es hier auch Maßnahmen des Staates. So kann es jedenfalls nicht weitergehen.

Christine Behle, Foto: Kay Herschelmann

Noch immer sind die Löhne von Frauen bei gleicher Ausbildung und Leistung geringer als die von Männern, auch im öffentlichen Dienst. Wie wollen Sie für mehr Geschlechtergerechtigkeit bei den Löhnen eintreten?

Wir sind als Gewerkschaft des Dienstleistungssektors mit mehrheitlich weiblichen Mitgliedern da ganz besonders betroffen und in dieses Thema involviert. Wir haben eine totale Spaltung zwischen Gehältern in der Industrie und den Gehältern im Dienstleistungssektor, die deutlich niedriger sind. Eine Ursache ist, dass Frauenberufe immer noch schlechter bezahlt werden. Wir arbeiten seit vielen Jahren daran, das zu ändern, und haben beispielsweise im Sozial- und Erziehungsdienst über die letzten 15 Jahre immer wieder besonders dafür gekämpft, dass die hochwertige Tätigkeit, die beispielsweise eine Erzieherin in der Kita leistet, auch entsprechend anerkannt wird. Zum Beispiel indem wir bessere Eingruppierungsregelungen hinbekommen haben oder auch zusätzliche Lohnbestandteile eingeführt haben, damit diese Lücke dann auch wirklich reduziert wird.

Welche Gesetze, die angemessene Löhne begünstigen, würden sie sich denn vom nächsten Bundestag wünschen?

Eines unserer Kernthemen ist die Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns. Wir haben immer noch einen großen Niedriglohnsektor in Deutschland und der Mindestlohn, der ganz lange verteufelt worden ist, hat nicht dazu geführt, dass massiv Arbeitsplätze abgebaut wurden. Er hat im Gegenteil zu mehr Wohlstand geführt. Deswegen ist es wichtig, dass der Mindestlohn auf 15 Euro angehoben wird. Das zweite große Thema ist die Tarifbindung. Wir haben Vorgaben der EU, dass sie gestärkt werden soll. Doch in Deutschland lockert sich die Tarifbindung von Jahr zu Jahr, weil beispielsweise Unternehmen Tarifflucht begehen, weil Regelungen zum Beispiel für Allgemeinverbindlichkeitserklärungen restriktiv sind. Da brauchen wir zusätzliche Maßnahmen, um die Tarifbindung zu stärken. Dafür treten wir ein.

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