Als die NASA im Frühling 2020 meldete, dass das supermassive schwarze Loch im Zentrum unserer Galaxie ungewöhnlich starke Aktivität zeige, war dies den Medien kaum mehr als eine Randnotiz wert. Die ganze Welt befand sich mitten im Aufruhr der ersten Corona-Wellen, man sprach von nichts als Lockdowns, Grenzschließungen und Inzidenzen. Nur auf Social Media gab die Nachricht aus dem All Anlass für Witze: »Nicht jetzt, supermassives schwarzes Loch!«, schrieb eine Kommentatorin. »Siehst du nicht, dass wir beschäftigt sind?«
Blickt man auf den derzeitigen Wahlkampf zur vorgezogenen Bundestagswahl, so scheint die Überhitzung der planetaren Ökosysteme heute eine ähnliche Rolle zu spielen wie das Grummeln der Milchstraße vor fünf Jahren. Zwar sind die ökologischen Hiobsmeldungen so zahlreich, dass sie sich zu einer regelrechten Kakofonie vermengen. Doch diese dröhnt in Richtung einer Bevölkerung, die mit den Gedanken woanders ist: bei der Rezession und Krise des deutschen Wachstumsmodells und bei den Nachwirkungen einer Inflation, die insbesondere bei geringverdienenden Haushalten heftig einschlug. In derart ernsten Zeiten, so scheint auch der Konsens im Wahlkampf zu sein, muss der Planet auch mal warten können. Wo überhaupt klimapolitische Ambitionen artikuliert werden, sind sie mit wachstumspolitischen Talking Points verklammert. So geben die Grünen, nicht ohne unfreiwillige Komik, an, »für unsere Zukunft auf diesem Planeten und unsere Wettbewerbsfähigkeit« kämpfen zu wollen. Nicht jetzt, Erdatmosphäre.
Klimapolitische Leisetreterei überlässt den Rechten die Bühne
Hinter dieser Vermeidungshaltung steckt die Annahme, dass Depolitisierung der Klimapolitik derzeit am besten tut. Es geht darum, das Klimathema aus der Schusslinie zu nehmen, möglichst wenig anzuecken, die Ambitionen herunterzuschrauben und darauf zu hoffen, dass sich jenseits der öffentlichen Bühne einiges über technische Direktiven und Regulierungen erreichen lässt. Das mag für den Wahlkampf Sinn ergeben. Mittelfristig ist es aber brandgefährlich. Denn zumindest nach jetzigem Stand werden die heranrollenden Klimaschutzmaßnahmen, allen voran die Ausweitung des EU-Emissionshandels ETS ab 2026, einen massiven Einschlag auf die Verbraucherpreise haben und die sozialen Schieflagen des Klimaschutzes weiter verstärken. Politisch würde das bedeuten, dass die Klimapolitik künftig noch schärfer als Verteilungskampf ausgefochten wird. Dem Klimaschutz droht, noch stärker als ideologisch getriebenes Elitenprojekt auf Kosten der einfachen Bürger wahrgenommen zu werden. Das Heizungsgesetz war erst der Anfang.
In dieser Situation überlässt die zentristische Leisetreterei den rechten Klimabremsern eine Reihe entscheidender politischer Trümpfe. Den Rechten bleibt es derzeit vorbehalten, die negativen Verteilungsfolgen der Klimapolitik zu benennen, die finanziellen Sorgen zu skandalisieren, die sich aus den erhöhten CO2-Preisen ergeben und den Krisen-, Unrechts- und Verlustängsten politischen Ausdruck zu verleihen. Mit Wut, Angst, Unrechtsgefühl und Empörung – aber auch mit dem Stolz auf die eigene Lebensweise und dem Aufbegehren gegen Vorgaben von oben – können die Rechten so einige der stärksten politischen Emotionen für sich beanspruchen. Und es sind auch vor allem sie, die derzeit neue Allianzen zwischen gesellschaftlichen Gruppen von Betroffenen der Klimatransformation schmieden. Die Landbevölkerung, Pendler, Hausbesitzerinnen, Arbeitende in Fossilindustrien und Geringverdiener werden von rechts als ein »Wir« mit gemeinsamen Interessen und Betroffenheiten angerufen, vereint durch die Gegnerschaft zur ökologischen Politik. Die soziale Ortsbestimmung von Teilen der Mittelschicht und Arbeiterklasse wird so mit einer politischen Vertretung von rechts verschweißt, wie in den USA bereits geschehen. Auch wenn ihre Politik letztlich den Arbeitgebern und den Fossilinteressen dient, schafft es die Rechte, eine Sprache für Verteilungsungerechtigkeiten in der Klimapolitik zu finden. Einfachen Leuten wird das Gefühl der Ermächtigung und Fürsprache vermittelt, indem ihre Interessen gegen die der verbohrten Öko-Eliten »da oben« aufgerechnet werden.
Dass in Krisenzeiten niemand mehr über das Klima sprechen will, zeigt bereits den Erfolg dieser politischen Logik und ist Symptom einer Niederlage linker Klimapolitik. Um diese Niederlage zu überwinden, müssen progressive Kräfte eine eigene politische Logik finden, die Verteilungskämpfe und Unrechtsgefühle nicht leugnet, sondern offensiv adressiert. Sie müssen sich eine narrative Struktur wieder aneignen, in denen es neben Helden auch Bösewichte gibt, gegen die man politisch mobilisiert. Und sie müssen in ihren Politikvorschlägen nicht den abstrakten Bezug zur »Menschheit« oder den »kommenden Generationen« suchen, sondern konkret benennen, wer die Gewinner ökologischer Politik sein sollen und wer die Rechnung bezahlt. Ähnlich wie kürzlich Thea Riofrancos und Daniel Aldana Cohen in der New York Times, nennen wir eine solche Logik Klimapopulismus. Wie wir im Folgenden zeigen, deutet eine Vielzahl von Studien an, dass es auch in der deutschen Bevölkerung ein unrealisiertes Potenzial für eine solche Politik gibt.
Die Alternative: Klimapopulismus
Die Grundidee des Klimapopulismus ist einfach: Wenn es nun zunehmend unabwendbar wird, dass das Klima Gegenstand von Verteilungskämpfen wird, dann sollten es die richtigen sein, die miteinander ringen. Auf der einen Seite steht dabei die Mehrheit gewöhnlicher Leute, die – aufgrund ihrer nicht unbedingt ärmlichen, aber finanziell doch beschränkten Mittel – schon heute mehr oder minder innerhalb der planetaren Grenzen leben. Für diese Menschen ist Klimaschutz in erster Linie eine Frage der Bezahlbarkeit und der alltäglichen Bedürfnisse von Wärme, Strom, Mobilität, Wohnen und Nahrung. Preise, Mieten, aber auch die Verfügbarkeit von öffentlichen Infrastrukturen und Sicherungssystemen spielen für diese Gruppe eine lebenswichtige Rolle.
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