Zu Beginn des Präsidentschaftsrennens 2024 gab sich Kamala Harris progressiv und versprach Maßnahmen gegen die hohen Lebensmittelpreise. Bald verschwand diese und andere Forderungen aus ihrem Vokabular, denn beratende Ökonomen, Vertreter der Wall Street und Tony West, der Chefjurist von Uber und Schwager von Harris, schüttelten den Kopf. Währenddessen versprach Trump, die Kreditkartenzinsen zu begrenzen und die Preise für Energie und andere lebenswichtige Güter zu senken. Die politische Elite rund um Harris hat kein Gespür dafür gehabt, was es für eine Demokratie bedeutet, wenn viele Menschen am Ende des Monats wegen der hohen Lebenshaltungskosten die Münzen dreimal umdrehen müssen.
Hätte Kamala Harris’ Scheitern verhindert werden können, wenn ihre Berater die ökonomischen Lehren ihres Vaters Donald Harris ernst genommen hätten?
Donald Harris wurde 1938 in Jamaika geboren und wuchs in einer Zeit großer politischer und sozialer Umwälzungen auf, die sein Bild von Wirtschaft und Gesellschaft prägten. Eine seiner Großmütter, Iris, bewirtschaftete eine Zuckerrohrplantage, auf der Harris die Sommer seiner Jugend verbrachte. Wie er in einem Essay für eine jamaikanische Zeitung schrieb, kam er so schon »früh mit der Arbeitsweise der Zuckerindustrie auf der lokalen Ebene der Kleinproduktion mit Familienarbeitskräften und freier Lohnarbeit in Berührung«. Im gleichen Essay setzte er sich 2018 auch kritisch mit der Geschichte eines Teils seiner Familie auseinander, die in Jamaika Plantagen besaß und Menschen versklavte. Es ist wahrscheinlich, dass Harris sowohl von Plantagen- und Sklavenbesitzenden als auch von versklavten Menschen abstammt. In seiner Forschung untersuchte er, wie die Zuckerindustrie auf einem auf Sklavenarbeit basierenden globalen Produktions- und Handelssystem beruht.
Auch die andere Großmutter, Crishy, weckte sein Interesse für politische Ökonomie. Sie war Inhaberin eines Lebensmittelgeschäfts, das Harris jeden Tag nach der Schule besuchte. Dort lernte er, dass der An- und Verkauf von importierten Trockenwaren es erforderte, die Nachrichten zu verstehen und politisch auf dem Laufenden zu bleiben – eine Aufgabe, der sich seine Großmutter mit Begeisterung widmete.
Erster schwarzer Tenure Professor in Stanford gegen Widerstände
Geprägt von der Lebenswelt seiner zwei Großmütter in Jamaika, entschied sich Harris Wirtschaftswissenschaften an der University of the West Indies in Jamaika zu studieren, bevor er in die USA ging, wo er 1966 an der University of California, Berkeley, mit einer Arbeit zum Thema Inflation, Capital Accumulation and Economic Growth: A Theoretical and Numerical Analysis promovierte.
Donald Harris lernte Kamalas Mutter, Shyamala Gopalan, 1962 bei einem Treffen der Afro-American Association in Berkeley kennen. Sie war eine tamilische Doktorandin am Institut für Ernährung und Endokrinologie der Universität. Zwei Jahre später heirateten sie und bekamen zwei Töchter. Kamala wurde 1964 geboren, ihre Schwester Maya zwei Jahre später. Kamala war sieben Jahre alt, als sich ihre Eltern 1971 scheiden ließen, und beschrieb wiederholt, dass sie von einer alleinerziehenden Mutter aufgezogen wurde.
Nur ein Jahr später wurde Harris als erster schwarzer Wissenschaftler zum Professor an der Wirtschaftsfakultät der Stanford University berufen, wo er viele Jahre lehrte und forschte. Seine Berufung verlief nicht reibungslos und stieß in den rassistisch geprägten USA auf erbitterten Widerstand. Viele etablierte Kräfte befürchteten, dass Harris’ radikale Ansichten einen zu großen Einfluss auf die Studierenden ausüben könnten. So wurde er im Stanford Daily aus dem Jahr 1976 als marxistischer Gelehrter beschrieben, den die Universität als »zu charismatisch« betrachtete und der die Studierenden von der neoklassischen Ökonomie abbringe.