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Das Wirtschaftsmagazin

Ein Fair New Deal für Deutschland

Deutschlands Wirtschaft steckt in der Dauerkrise. Ein Investitionspaket und höhere Löhne könnten der Ausweg sein.

Die aktuelle Lage in Deutschland ist schlecht. Die Energiekrise hat die deutsche Wirtschaft schwer getroffen, die Reallöhne liegen rund 8 Prozent unter ihrem Vorkrisentrend, die Bevölkerung ist zu Recht verunsichert. Deutschland braucht kräftiges und dauerhaftes Wirtschaftswachstum, das bei den Menschen ankommt und die Transformation zu einer nachhaltigen Wirtschaft weiter vorantreibt. Dies ist die zentrale Herausforderung für die künftige Wirtschaftspolitik. Der Dreiklang aus Wohlstand, Klimaschutz und Gerechtigkeit kann mit einem großvolumigen Investitionspaket in Kombination mit Maßnahmen zur Stärkung der Löhne geschaffen werden – ein Fair New Deal für Deutschland. Dieser Weg aus der Dauerkrise wurde bereits 2023 von verschiedenen Seiten gefordert, doch die Ampelregierung hat sich damals für das Nichtstun entschieden, weil die Krise angeblich bereits überwunden war. Das wirtschaftspolitische Zögern der Ampelregierung hat bereits großen Schaden verursacht, aber es ist noch nicht zu spät für eine Wirtschaftswende. Im Folgenden skizzieren wir die wesentlichen Elemente eines Fair New Deals für Deutschland.

Investitionspaket

Das von uns vorgeschlagene Investitionspaket sollte als Kern die folgenden sechs Maßnahmen enthalten, um einen dauerhaften Wirtschaftsboom anzuschieben:

  • Strompreisbremse: Ein garantierter Bruttostrompreis für alle Unternehmen und privaten Haushalte, um Unsicherheit zu reduzieren, sowie Investitionen und Konsum zu stärken.
  • Investitionsprämie: Eine Investitionszulage für alle Ausrüstungsinvestitionen, welche den Anteil fossiler Energieträger in der Produktion verringern.
  • Infrastruktur: Stärkung der Eigenkapitalbasis öffentlicher Infrastrukturunternehmen und ein grundgesetzlich verankerter kommunaler Infrastrukturfonds.
  • Industriepolitik mit Plan: Entwicklung eines schlüssigen Konzepts, welche Industriesektoren gefördert werden sollen und wie die einzelnen Politikinstrumente ineinandergreifen.
  • Bildung und Betreuung: Ausbau der Ganztagsbetreuung bzw. des Ganztagsunterrichts an Kitas und Schulen.

Die Strompreisbremse soll eine Obergrenze (Preisdeckel) für den Bruttostrompreis inklusive Steuern, Abgaben und Netzentgelten setzen und perspektivisch bis 2035 gelten. Beispielsweise könnte die neue Bundesregierung neben einem Industriestrompreis für energieintensive Unternehmen den Strompreis für alle Unternehmen mit einem Jahresverbrauch über 30.000 kWh auf 15 ct/kWh deckeln. Zudem sollten private Haushalte und kleinere Gewerbeunternehmen mit einem Jahresverbrauch unter 30.000 kWh eine Strompreisgarantie von 30 ct/kWh erhalten.

Die Strompreisgarantie sollte für 70 Prozent oder 80 Prozent des Vorjahresverbrauchs gelten. Zudem sollte für private Haushalte die Förderung auf 10.000 kWh begrenzt werden. So werden die Stromkosten für Haushalte abschätzbar, was Haushaltsinvestitionen in Elektrifizierung begünstigt und Konsumpotenzial freisetzt. Im Gegensatz zur ursprünglichen Strompreisbremse setzt unser Vorschlag auch für industrielle Kunden eine Obergrenze für den Bruttostrompreis. Diese Erweiterung ist notwendig, weil der größte Unsicherheitsfaktor für industrielle Stromkunden derzeit die künftigen Netzgebühren sind, die stark vom unsicheren Erfolg des Stromnetzausbaus abhängen. Diese Großkunden konnten sich zwar an den Strombörsen 2024 gegen das Risiko schwankender Nettostrompreise relativ günstig absichern, aber für die Unsicherheit in Bezug auf zukünftige Netzentgelte gibt es keine Versicherung auf dem Strommarkt. Anders gesagt: Der Staat versichert mit der Strompreisbremse private Haushalte und Unternehmen gegen politische Unsicherheit, die er selbst erzeugt. In diesem Sinne ist eine Strompreisbremse bis 2035 ein angemessenes Instrument, um politische Glaubwürdigkeit in unsicheren Zeiten zu schaffen und die Elektrifizierung der Wirtschaft voranzutreiben.

Die vorgeschlagene Investitionsprämie ist angelehnt an die Klimaschutz-Investitionsprämie, die ursprünglich als Teil des Wachstumschancengesetzes der Ampelregierung geplant war, aber letztlich nicht umgesetzt wurde. Sie ist eine gewinnunabhängige steuerliche Zulage für Investitionen in den Klimaschutz und hat gegenüber verbesserten Abschreibungsmöglichkeiten den Vorteil, dass sie auch von Unternehmen genutzt werden kann, die aktuell keine Gewinne verbuchen. Beispielsweise könnte die Investitionsprämie so ausgestaltet sein, dass Unternehmen 25 Prozent der Anschaffungs- und Herstellungskosten der Investitionen erstattet bekommen.

Die Umsetzung der Investitionsprämie muss einfach und unbürokratisch erfolgen, damit sie alle mittelständischen Unternehmen erreicht. Dazu gehört unter anderem eine Umsetzung über die Steuererklärung mit einer stichprobenmäßigen Ex-post-Kontrolle, ob die Förderbedingungen erfüllt sind. Dies könnte in vielen Fällen der Installateur der Anlagen bescheinigen, wie es auch bei der Wärmepumpenförderung geschieht. Der ursprüngliche Entwurf der Ampelregierung zur Investitionsprämie sah hingegen eine hundertprozentige Ex-ante-Kontrolle durch einen Energieberater oder Energiemanager vor. Dieser Ansatz ist vielleicht gut für die Energieberatungsbranche, aber sehr kleinteilig und arbeitsintensiv für die betroffenen Mittelständler. Zudem erfordert der Regierungsentwurf die Einbettung in ein Energiesparkonzept, das die Zertifizierung durch einen Energieberater erfordert, während der vorliegende Vorschlag ein einfach nachzuprüfendes Kriterium verwendet – die Reduktion des Anteils fossiler Energieträger in der Produktion. Die volle Wirksamkeit wird eine Investitionsprämie nicht entfalten können, wenn sie in der Umsetzung durch ein Übermaß an Kontrolle zu einem Bürokratiemonster mutiert.

Die Bereitstellung einer qualitativ hochwertigen, bezahlbaren Infrastruktur ist eine zentrale Aufgabe des modernen Staates. Leider hat der Marktfundamentalismus der letzten 40 Jahre dazu geführt, dass die deutsche Infrastruktur durch Privatisierung und Deregulierung bzw. planlose Regulierung heruntergewirtschaftet wurde. Diese desaströse Entwicklung sollte konsequent umgekehrt werden, um Wachstumspotenziale der Wirtschaft und den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken. Im Energiebereich bedeutet dies zum Beispiel, dass der Bund mithilfe der KfW eine Mehrheitsbeteiligung an dem Übertragungsnetzbetreiber Tennet erwirbt und die Städte und Gemeinden ihre lokalen Energieversoger rekommunalisieren. Darüber hinaus muss die öffentliche Hand die Eigenkapitalbasis der öffentlichen Energieunternehmen stärken (Öffentlich-Öffentliche Partnerschaften, ÖÖP), damit die notwendigen Investitionen für den Stromnetzausbau kostengünstig finanziert werden können. Die Beteiligung von privaten Finanzinvestoren an öffentlichen Energieunternehmen, wie es aktuell von verschiedenen Seiten empfohlen wird, ist hingegen ineffizient und würde die Netzentgelte für die Stromkunden unnötig verteuern. Anders gesagt: Die Privatisierung des Ausbaus der Energieinfrastruktur ist zwar gut für internationale Finanzinvestoren wie BlackRock, aber schlecht für die deutsche Wirtschaft.

Neben der Stärkung der Eigenkapitalbasis öffentlicher Infrastrukturunternehmen werden in gewissen Bereichen auch Zuschüsse benötigt, damit die Nutzung der öffentlichen Infrastruktur bezahlbar bleibt. Solche staatlichen Zuschüsse sind auf der kommunalen Ebene besonders wichtig und der Bund kann hier einen Beitrag leisten, indem er ein neues Sondervermögen mit einem Finanzvolumen von 100 Milliarden Euro auflegt. Dieser Investitionsfonds muss wie das Bundeswehrsondervermögen grundgesetzlich verankert und wie der bereits existierende Kommunalinvestitionsförderungsfonds zur Unterstützung der kommunalen Investitionen verwendet werden. Die Finanzmittel können beispielsweise genutzt werden, um Schulen zu sanieren, Sportplätze und Freizeitstätten zu bauen, das Stromverteilernetz und den öffentlichen Personennahverkehr auszubauen sowie die digitale Infrastruktur zu verbessern. Wie üblich würden die Länder bei Nutzung der Bundesmittel einen entsprechenden Eigenbeitrag leisten, sodass insgesamt rund 200 Milliarden Euro für die Verbesserung und Ausweitung der kommunalen Infrastruktur bereitstehen könnten.

Eine Industriepolitik mit Plan ist Voraussetzung für eine erfolgreiche Wirtschaftswende in Deutschland, doch viele Ökonominnen und Ökonomen sehen strategische Industriepolitik kritisch. Aus Sicht der marktliberalen Theorie braucht es keine staatlichen Eingriffe (ob mit oder ohne Plan), weil der Markt es von allein regeln wird. Zwar hat die Politik die marktradikalen Ratschläge der Ökonomen-Mehrheit nicht konsequent verfolgt, aber die »gelebte« Industriepolitik war häufig planlos und widersprüchlich, weil das übergreifende ökonomische Konzept fehlte und vieles Stückwerk blieb. Dies muss sich ändern, wenn Deutschland nicht endgültig den Pfad der Deindustrialisierung gehen soll: Die Politik braucht einen industriepolitischen Plan, den sie konsequent verfolgt. Das bedeutet beispielsweise im Automobilbereich, dass die neue Bundesregierung neben den bereits genannten Maßnahmen (Strompreisgarantie, Ladeinfrastruktur, Investitionsprämie) eine Verkaufs- bzw. Leasing-Prämie für Elektroautos einführen sollte, und den Aufbau von Produktionsstandorten für Batteriezellen und Microchips konsequent fördern muss. Diese Strategie ist nicht risikolos, aber ohne diese Förderung werden große Teile der künftigen Autoproduktion ins Ausland abwandern.

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