Umgeben von Palmenblättern fallen die Charaktere in der HBO-Serie White Lotus in ihre persönlichen Abgründe. Die hohe Luftfeuchtigkeit im thailändischen Luxusresort ist durch den Fernseher spürbar. Auch in der dritten Staffel der Serie beobachten wir die eher privilegierten Mitglieder der Gesellschaft im Urlaub, kleine Klassenkonflikte inklusive.
Der Plot ist so schrill wie unterhaltsam: Ein Familienvater kämpft damit, dass sein Business und damit seine Versorgerrolle zusammenbricht; Freundinnen im mittleren Alter verhalten sich wie Teenager und spannen sich gegenseitig die Männer aus; und zum Schock aller Zuschauenden gerät der Highperformer-Sohn in eine inzestuöse Handlung mit seinem Bruder. Übrig bleibt nach acht Folgen vor allem eine Erkenntnis: Der globale Westen hat sich mit seinem selbst geschaffenen Reichtum selbst verdorben. Wirtschaftspolitisch heißt das aber noch nichts. Aus der Kapitalismuskritik in der Serie entwickelt sich keine Kritik an den globalen materiellen Verhältnissen. Und doch muss man ihr zugutehalten, dass sie nicht nur Superreiche, sondern auch uns Zuschauende vorführt. Und vielleicht muss sie auch gar nicht mehr leisten.
Spiegel oder Schlüsselloch?
White Lotus ist in erster Linie großes Kino. Es macht Spaß, den US-amerikanischen Reichen beim Urlaub im Paradies zuzusehen. Nicht wenige dürften gegoogelt haben, wie viel eine Übernachtung in dem Hotel kostet, das als Drehort diente (Servicetipp: Es sind circa 2000 Euro die Nacht). »Die«, also die Superreichen, sind bei White Lotus dann vor allem eines: innerlich leer. Keine hehren Ideale oder Motive leiten ihr Handeln, es geht nur um den Machterhalt und das hedonistische Vergnügen along the way. Piper, die Tochter der durch Hedgefonds finanzierten Familie offenbart in der finalen Folge unter Tränen ihre innere Zerrissenheit: Sie will wie eine »Prinzessin« leben, schämt sich aber aus Mitleid mit den armen Menschen auf der ganzen Welt dafür. Doch ihre Mutter Victoria beruhigt sie: »Wir haben Glück, das stimmt schon. Kein Mensch in der Geschichte der ganzen Welt hat je besser gelebt als wir. Selbst die alten Könige nicht. Und das Mindeste ist einfach, dass wir es genießen!« »Alles andere«, führt sie fort, sei eine Beleidigung für die »Milliarden Menschen, die nur davon träumen können, eines Tages so zu leben wie wir.« Interessant sind daran zwei Dinge: Erstens hat Victoria damit recht, dass der neue Geldadel bestehend aus Tech-Milliardären und Unternehmenserben heute einen historisch nie dagewesen Reichtum besitzt. Der reichste amtierende König der Welt, Sultan Hassanal Bolkiah von Brunei, hat ein Vermögen von 20 Milliarden US-Dollar. Nichts im Vergleich zu den von Forbes geschätzten 342 Milliarden US-Dollar von Elon Musk, dem reichsten Mensch der Welt.
Die Szene offenbart aber auch eine psychologische Wahrheit. Angesichts der obszönen und nicht zu rechtfertigenden weltweiten Ungleichheit, müssen wir alle abstumpfen, die Superreichen allerdings besonders. Der Medientheoretiker Douglas Rushkoff sagte kürzlich im Surplus-Interview, dass man sich »unempfindlich machen muss, wenn man Milliarden verdient«. Victoria ist es die meiste Zeit. In dem Moment, in dem sie sich allerdings ihrer Lage bewusst macht, will sie Entlastung. Sie erwartet durch das Bekenntnis, dankbar für ihr Privileg zu sein, Absolution von der Verantwortung für die ungleichen Verhältnisse, in denen sie sich befindet. Anders lässt sich die Obszönität für Sie nicht aushalten. Doch sind wir nicht alle wie sie? Auch als Teil des deutschen Mittelstandes mit einem monatlichen Brutto-Einkommen von 3000 Euro zählt man noch zu den reichsten 10 Prozent der Welt. Auch wir ignorieren gern, dass unsere Handys unter ausbeuterischen Verhältnissen hergestellt werden und unser Lebensstil massiv auf der Zerstörung des Klimas beruht. Auch wir machen Urlaub in Ländern, in denen Menschen unter Niedriglöhnen und ihrer Abhängigkeit von uns Touristinnen und Touristen ächzen. White Lotus zeigt Superreiche, meint aber oft auch uns alle.
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