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Das Wirtschaftsmagazin

Wie kann Syrien die Wirtschaftskrise überwinden?

Über 90 Prozent der Bevölkerung leben in Syrien unterhalb der Armutsgrenze. Eine stabilisierende Einkommenspolitik wird für die Zukunft des Landes zentral sein.

Eine Syrerin und ihr Sohn feiern den Sturz Assads in Damaskus. Credit: IMAGO/ NurPhoto

Anfang Dezember 2024 hat die HTS-Miliz Syriens Diktator Baschar al-Assad gestürzt. Nun führt Ahmed al-Scharaa, ein ehemaliger al-Kaida-Kommandeur, das Land durch eine unsichere Übergangszeit. Während einige Hoffnungen auf wirtschaftlichen Wiederaufbau und politischen Dialog setzen, hegen andere Zweifel aufgrund der islamistischen Kräfte innerhalb des neuen Regimes. Surplus spricht mit dem Islamwissenschaftler Prof. em. Dr. Reinhard Schulze über die Entwicklungsperspektiven des verwüsteten Landes.

Herr Schulze, wie würden Sie die Lage in Syrien in einem Satz beschreiben?  

Ich sehe ein Land, das zwischen Hoffnung und Verzweiflung schwankt.

Gibt es einen Ansatzpunkt, um Ordnung in das derzeitige Chaos zu bringen?

Einerseits versucht die neue Führung in Damaskus, Normalität zu simulieren. Diplomatische Besuche, Verhandlungen mit Ländern wie Saudi-Arabien oder der Türkei – all das soll ein Bild von Stabilität vermitteln. Doch die Realität sieht anders aus: Das Land ist tief gespalten. Sicherheit bleibt ein Wunschtraum, insbesondere in den nördlichen und östlichen Regionen. Diese Ambivalenz ist fast gewollt, eine Strategie, um sowohl innen als auch außen unterschiedliche Botschaften zu senden.

Wie hat sich Syriens Wirtschaft über die Jahrzehnte entwickelt? Gibt es historische Linien, die sich bis heute durchziehen?

Es gab im Grunde drei große Phasen. In den 60er Jahren wurde versucht, ein sozialistisches Modell zu etablieren. Das bürgerliche Handelskulturerbe wurde systematisch zerstört, wirtschaftliche Initiativen privater Akteure stark eingeschränkt. Dann, ab den 70er Jahren, entwickelte sich ein Staatskapitalismus, der zunehmend von einer oligarchischen Elite dominiert wurde. Dieser Prozess gipfelte ab 2005 in einem Modell, das ich als mafiös beschreiben würde: Zentralisiert um die Assad-Familie, geprägt von Korruption, Drogenhandel und anderen illegalen Geschäften.

Was sind die tragenden Sektoren des Landes?

Der Dienstleistungssektor dominiert – etwa zwei Drittel der Beschäftigten arbeiteten dort. Die Landwirtschaft war wichtig für den Export, vor allem nach Saudi-Arabien und in die Türkei. Die Industrie bestand hauptsächlich aus Montagebetrieben, die importierte Teile aus dem Westen oder Asien zusammenfügten. Erdöl und Bodenschätze spielten ebenfalls eine Rolle, aber hier hatte der Staat oft keine Kontrolle, besonders in den kurdischen Gebieten im Nordosten.

Gab es je eine übergeordnete Zielsetzung, auf die dieses Wirtschaftsmodell hinarbeitete?

Nein, und genau das ist eines der zentralen Probleme. Es fehlte an strategischen Plänen. Man setzte auf kurzfristige Bereicherung, insbesondere durch die Assad-Familie und deren Umfeld. Statt einer nationalen Vision gab es nur Machtkalküle. Selbst Lawrow kritisierte dies kürzlich. Er sprach von der »Unfähigkeit« des Assad-Regimes, die Grundbedürfnisse der Bevölkerung zu sichern. Dass sogar Russland sich von Assad distanziert, ist beachtlich.

 Welche Rolle spielte die Zentralbankpolitik in diesem Chaos?

Die Zentralbank ist ein Symbol für das wirtschaftliche Desaster in Syrien. Nach dem Rückzug der Assad-Familie aus Teilen des Landes waren die Gold- und Devisenreserven praktisch verschwunden. Das Gebäude der Bank war de facto leer, das Vertrauen in die Währung brach völlig zusammen. Die Bevölkerung musste mit einem wertlosen syrischen Pfund leben, während essenzielle Güter fast ausschließlich in ausländischen Währungen wie der türkischen Lira gehandelt wurden. Auch in Städten wie Idlib und Aleppo ist die Lira mittlerweile dominant. Diese Situation zeigt, wie stark die Wirtschaft durch fehlendes langfristiges Denken zerstört wurde – und auch, welcher weite Weg vor den neuen Machthabern steht, um das Vertrauen in grundlegende, wirtschaftliche Institutionen aufzubauen.

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